Jugendzentrum besetzt
Kunst sucht die Öffentlichkeit, Rebellion findet im Allgemeinen nicht ohne sie statt. Dennoch versteckt sich der friedliche Protest an diesem Nachmittag hinter Sonnenbrillen und schwarzen Kapuzen und mag nur eingeschränkt gefilmt werden. Die Aktivisten des freien Kulturprojekts »Faites votre jeu!« (»Machen Sie Ihr Spiel«) möchten unerkannt bleiben. Denn was sie für ihr Grundrecht halten – junges Kulturschaffen auf mietfreiem Raum – ist illegal.
Seit Samstagabend hält eine Gruppe von rund 20 Kernmitgliedern und zahlreichen Sympathisanten das ehemalige Jugendzentrum Bockenheim in der Varrentrappstraße besetzt. Das Haus steht seit sechs Jahren leer, es soll als Erweiterung der Frankfurter Schule für Mode und Bekleidung saniert werden.
Dabei geht es den Hausbesetzern primär um kulturelle, weniger um politische Ziele. »Natürlich ist die Besetzung städtischen Eigentums an sich ein politischer Akt, den wir als Zeichen gegen den anhaltenden Trend zur Privatisierung verstehen«, erklärt eine der Aktivistinnen, die nicht namentlich genannt werden möchte. »Aber unser Hauptanliegen ist die Förderung nicht-kommerzieller Kultur.« Um dieses Ziel verwirklichen zu können, suchen die Hausbesetzer den Dialog mit der Nachbarschaft und luden nach der Eröffnungsparty am Samstag die Anwohner auch noch zum Sonntagsbrunch ein. »Die Resonanz war sehr positiv und nur wenige unserer Gäste haben Skepsis gegenüber unserem Vorhaben geäußert«, so einer der Besetzer.
Friedliches Einvernehmen herrscht laut Aussage der jungen Frauen und Männer auch mit der Leitung der benachbarten Gutenbergschule, sowie der Mode-Schule, die zurzeit in der Hamburger Allee residiert. Zwar habe deren Leiter Malte Lütjens Strafanzeige gegen die Hausbesetzung erstattet. »Das ist aber nur auf Druck vom Stadtschulamt geschehen, er selbst steht dem Projekt positiv gegenüber«, behaupten die Besetzer. Lütjens selbst war zu keiner Stellungnahme bereit.
Am Montagnachmittag begannen die Verhandlungen mit der Stadt. Verhandlungspartner Michael Damian vom Bildungsdezernat habe leider nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Anzeige zurückzuziehen, bedauerten die Besetzer. Er habe aber ein Gespräch mit Bürgermeisterin Jutta Ebeling (Grüne) zugesichert. Der FR gegenüber sagte Damian, man sei bestrebt, auf eine polizeiliche Räumung des Gebäudes zu verzichten. Für den Umbau, der 2009 starten soll, seien 1,5 Millionen Euro im Etat eingeplant. Er gehe davon aus, das die Besetzer bis dahin das Haus verlassen haben.
Das hört sich bei denen ganz anders an: »Wir sind durchaus zu Kompromissen bereit, denn uns ist sehr daran gelegen, das Haus nutzen zu können«, hieß es. »In Frankfurt herrscht ein Mangel an offenen und unkommerziellen Einrichtungen für Kunst und Kultur«, bemerkt eine Sprecherin. Das alte Haus möchte die Gruppe jungen, noch nicht etablierten Künstlern zur Verfügung stellen. Die Einrichtung eines offenen Ateliers sei geplant, ein Fotolabor, Probenräume für Bands und wechselnde Ausstellungen sollen folgen.
Sollte die Stadt dem Projekt von »Faites votre jeu!« zustimmen und Mietfreiheit gewähren, möchten die jungen Kulturschaffenden sich durch die Instandhaltung des Hauses revanchieren. Es ist ihnen ernst: Die Renovierungsarbeiten sollen schon in den nächsten Tagen beginnen, für die oberen Stockwerke müsse aber noch ein Baugutachten eingeholt werden.
Frankfurter Rundschau, 05.08.2008
Von Marie-Sophie Piltz