Besetztes Haus
Das Fernsehen ist schon da. Ein junger Mann hantiert an seiner Kamera. Ein anderer posiert mit Zeitung auf der Schwelle des Hauses und gibt den jungen Intellektuellen. Es dreht ein Team von Rhein-Main TV, der Hessische Rundfunk ist schon wieder weg. Ob er einmal den Immobilienteil aufschlagen soll, fragt der Zeitungsleser den Kameramann. Beide lächeln. Nein, das braucht er nicht, für die Kamera nicht und auch sonst nicht mehr: Der Zeitungsleser und seine Mitstreiter, es sind mehrere Dutzend, hauptsächlich Studenten, haben sich am 2. August für einen anderen Weg entschieden und das frühere Jugendzentrum im Haus Varrentrappstraße 38 besetzt.
Mit einer großen Party hatten sie vor einer Woche Einzug in die stattliche Gründerzeitvilla gehalten, die seit dem Jahr 2000 leer stand. Zum Kunst- und Kulturzentrum wollen sie das Haus umgestalten. Junge Künstler sollen hier mietfrei arbeiten können. Sie stellen sich ein Haus mit Ateliers, Proberäumen für Bands und einem Medienraum vor. Die Renovierungsarbeiten haben schon begonnen. „Faites votre jeu“ nennen die Besetzer ihre „Initiative“ und wollen damit sagen, dass jeder eingeladen ist, mitzumachen. Der Barbetrieb und Spenden sollen die kollektive Kreativität finanzieren.
Stadt bietet keine preiswerten Räume an
Im Treppenhaus, hinter dem Zeitungsleser steht Miriam Kellert, eine der Sprecherinnen der Besetzer. Bevor sie spricht, will die junge Frau, die keine näheren Angaben zu ihrer Person machen möchte, allerdings erst wissen, worum es geht. Anschließend muss sie mit ihren Mitstreitern darüber „quatschen“. „Wir haben hier keine Verantwortlichen, sondern nur Sprecher“, sagt sie zur Erklärung. Nach fünf Minuten kommt die junge Frau schließlich mit drei weiteren Sprechern zurück. Ein Haus zu besetzen sei nicht ihr erster Gedanke gewesen. Zunächst hätten sie alle Anstrengungen unternommen, auf legalem Weg preiswerte Räume in zentraler Lage für ihre Ausstellungen und ihre künstlerische Arbeit zu finden, sagen sie. Doch vergebens habe man sich an Universität und Stadt gewandt. Erst dann sei die Idee aufgekommen, dass „wir selbst, was tun müssen“.
Mit den Hausbesetzern der ersten Generation à la Hamburger Hafenstraße möchten sie keinesfalls in einem Atemzug genannt werden. „Uns geht es hier nicht um die Schaffung von Wohnraum, sondern um einen Freiraum für Kunst und Kultur“, sagen sie. „Politisch sind wir nur, weil wir entgegen gesellschaftlichen Zwängen einen Freiraum für Kunst und Kultur für alle schaffen wollen, frei von Kommerzialisierung.“ Man müsse auch keineswegs einer dezidiert politisch links ausgerichteten Kunst das Wort reden, um in der Varrentrappstraße willkommen zu sein.
Die Besetzer wollen sich nicht „kriminalisieren“ lassen. In der öffentlichen Meinung werde ihre Tat auch nicht als Straftat angesehen, sagen sie und verweisen auf zahlreiche überaus positive Reaktionen, auf Nachbarn, Neugierige und Veteranen der Bockenheimer Besetzerszene, die schon zu Besuch gekommen seien und Spenden vorbeigebracht hätten, ebenso wie zahlreiche Künstler, die Anfragen gestellt hätten.
Spätestens Anfang 2009 muss das Haus geräumt werden
Die Reaktion von Malte Lütjens, dem Leiter der Schule für Mode und Bekleidung in der Hamburger Allee, passt nicht in diese Aufzählung. Von einem Trend zur Privatisierung, wie ihn die Besetzer beschwörten, könne in diesem Fall keine Rede sein. Das frühere Jugendzentrum gehöre der Stadt und werde demnächst von der Modeschule genutzt, sagt er. Schon vor fünf Jahren habe diese den Antrag hierfür gestellt, und das Lehrerkollegium habe sehr viel Arbeit in die Planung des Umbaus investiert. Zu Beginn des nächsten Schuljahrs würde er gern einziehen, ansonsten müsse man in der Bücherei unterrichten. Lütjens hat Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch gegen die Besetzer erstattet. Ein Gespräch mit den Besetzern sei erfolglos geblieben.
Im nächsten Haushaltsjahr sind nach Angaben von Michael Damian, dem Referenten von Bildungsdezernentin Jutta Ebeling (Die Grünen), 1,5 Millionen Euro zur Herrichtung des Gebäudes für die Modeschule vorgesehen. Ob die Besetzer vorerst in der Villa bleiben dürfen, hängt nach den Worten Damians davon ab, ob sie bereit seien, mit der Stadt eine Art Leihvertrag abzuschließen. In diesem müssten sie der Stadt zusichern, dass sie das Gebäude Anfang des Jahres anstandslos verlassen. Zuvor muss indes noch ein Vertreter des Hochbauamtes die Sicherheit des Gebäudes überprüfen. Der erste Versuch einer Inspizierung war am Donnerstag allerdings gescheitert. Die Besetzer hatten Damian und Vertretern des Hochbauamtes den Zutritt verwehrt. Der Besuch sei unangemeldet, lautete die Begründung.
Schließlich hat man sich später auf eine Inspektion am nächsten Montag geeinigt. Dann wird sich entscheiden, ob das ursprünglich von den Besetzern als Motto ihrer „Initiative“ favorisierte „Rien ne va plus“ zu Recht verworfen wurde. Damian spricht immerhin von einem „hoffnungsvollen Schimmer“.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.08.2008
Von Thomas Jansen
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: F.A.Z. – Julia Zimmermann
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