Als ehemalige 68er-Studentenbeweglerin bin ich mehr als erstaunt. Da steht seit sieben Jahren ein Haus leer, und endlich wird es besetzt von einer Initiative, die nur hehre Absichten hat, nämlich sich für kreatives Schaffen öffentlichen und kostenfreien Raum zu nehmen, der freiwillig von der Stadt nicht geboten wird. Und da geht die Stadt hin, deren Vertreter zum Teil aus der 68er Studentenbewegung stammen, und weiß nichts Schnelleres zu tun, als Strafanzeige zu erstatten.
Sicher ist die einstweilige Duldung, welche die Stadt nunmehr bis Ende dieses Jahres eingeräumt hat, nicht zu verachten, gibt sie damit doch einen Verhandlungsspielraum.
Dass aber die sozialen Errungenschaften der 68er-Bewegung in den letzten 30 Jahren immer mehr den Bach runtergegangen waren und jetzt das Rad der Geschichte von Neuem gedreht werden muss, so als wenn es die Bewegung nie gegeben hätte, und heutige Politiker, die sich als Revoluzzer von damals feiern lassen, genauso handeln wie der Klassenfeind von anno dazumal – das desillusioniert mich um ein Vielfaches.
Charlotte Ullmann, Frankfurt