Streit ums JUZ Bockenheim: Künstlergruppe hat es besetzt, Berufsschule braucht die Räume
Frankfurt – „Vorsicht! Frei lebende kreative Menschen!“ steht auf dem Transparent, das an der Fassade hängt. Die Hausnummer 38 ist auf die Wand mit blauer Farbe gesprayt. Ein paar Schritte weiter ist die heruntergekommene Eingangstür. Dort hängt ein handschriftliches Schild: „Bitte klopfen“. „Die Klingel ist noch provisorisch“, erklärt eine blonde Studentin mit grasgrüner Jacke, die an diesem Abend vor der Tür darauf wartet, dass endlich jemand aufmacht. „Wir haben das Haus besetzt mit dem Ziel, ein selbst verwaltendes Kulturzentrum zu schaffen“, erklärt sie.
Sie ist Teil der Initiative „Faites votre jeu“, die seit August das ehemalige Jugendzentrum (JUZ) Bockenheim in der Varrentrappstraße 38 besetzt hat. Seitdem gibt es hier ein kulturelles Programm: Vernissagen, politische Vorträge, Konzerte, aber auch Selbstverteidigungskurse und Kochabende. Selbst eine gut besuchte Alternativ-Veranstaltung zur Buchmesse im Oktober fand hier statt. Doch die Fortführung des erfolgreichen Angebots ist ungewiss: Die Stadt Frankfurt will das Gebäude der benachbarten Schule für Bekleidung und Mode zur Verfügung stellen.
Hinter „Faites votre jeu“ stehen nicht nur Studenten der Frankfurter Hochschulen und der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach, auch Uniprofessoren von der Städelschule und der Goethe-Uni Frankfurt, oder der Chef-Dramaturg der Frankfurter Oper haben ihre Solidarität erklärt. Über 8 000 Clicks verzeichnet ihre professionell aufgezogene Homepage. Einmal die Woche tagt das 50-köpfige Plenum.
„Wir haben uns bewusst dieses Gebäude ausgesucht.“, erklärt Matthias Schneider, ein junger Mann mit schwarzem Kapuzenpulli und sympathischem Lächeln. Er ist der Sprecher von „Faites votre jeu“ und öffnet die Tür. Die Kulturgruppe hat ihren Namen von der Croupier-Aufforderung: „Machen Sie Ihr Spiel“. Für die Gruppe ist es aber keine Spielerei, sondern Ernst.
„Es fehlen in Frankfurt einfach Räume, in denen Künstler sich frei entfalten können“, erzählt Schneider weiter, der sich als einziger der Gruppe fotografieren lässt – denn die Hausbesetzung wird nicht geduldet. „Ateliers und Ausstellungsräume zu finden und bezahlen zu können, ist fast unmöglich“, sagt der 26-Jährige. Und er betont, dass auch Tradition eine Rolle gespielt hat, genau dieses Haus zu besetzen. Denn 30 Jahre ist es her, da wurde die Varrentrappstraße 38 zum ersten Mal von Studenten beansprucht. Damals endete die Besetzung damit, dass ein selbst verwaltetes Jugendzentrum entstand.
Jetzt sitzt Schneider auf der grünen Couch im „roten Salon“, dem gemütlichsten und am liebevollsten renovierten Raum des vierstöckigen Hauses. Mit roter Wand, Bordüre und Dielenboden. Ein fast Jukebox-großes Radio aus den 50er Jahren hat die Gruppe bei „eBay“ ersteigert und reingestellt.
Mit Blick auf den restaurierten Raum betont Schneider, dass nicht nur Studenten zu „Faites votre jeu“ gehören, sondern auch „ganz normale Arbeiter wie Schreiner und Handwerker“. „Sieben Jahre stand das Gebäude leer, und es war total verwahrlost. Als wir hier einzogen, deutete nichts darauf hin, dass hier jemand auch nur daran denkt, wieder einzuziehen“, sagt er, zieht an seiner Zigarette und zeigt gen Zimmerdecke. „Fenster waren eingeschlagen. Überall waren Löcher in den Decken und Wänden. Kabel hingen raus. Die Wasserleitungen waren angesägt. Und auch die Heizung haben wir repariert.“ Immer noch sind die meisten Räume alles andere als kuschelig, die Flurwände noch von den Vorbesitzern mit Graffiti besprüht. „Wir haben hier so viel Arbeit und Zeit reingesteckt – wir würden gerne bleiben.“
Doch ihr Bleiben ist unerwünscht. Und eigentlich, so hat es Bürgermeisterin Jutta Ebeling (Grüne), angeordnet, sollte die Künstlergruppe bereits am 15. Januar die Räumlichkeiten verlassen haben. Doch sie sind nicht gegangen und polizeilich geräumt wurde auch noch nicht. Die Stadt hofft noch auf eine friedliche Lösung. An diesem Dienstag trifft sich Ebeling zu einem ersten Gespräch mit den Hausbesetzern.
Denn nebenan auf der Hamburger Allee sitzt die Berufsschule für Bekleidung und Mode, und der hat die Stadt schon 2003 versprochen, dass sie die Räumlichkeiten bekommt. „Für uns ist die ganze Hausbesetzer-Situation tragisch“, sagt Schulleiter Malte Lütjens bedrückt. „Wir sind eine Brennpunkt-Schule. Haben also eine sowieso schon kritische Schulsituation. Uns fehlen Unterrichtsräume. Schüler- und Elterngespräch müssen auf dem Gang stattfinden.“ Nachdem vier Jahre kein Geld in der Stadtkasse für den Umbau da war, kam im Doppelhaushalt 2007 und 2008 endlich die Zusage. „Da haben wir Licht am Ende des Tunnels gesehen – und dann wird das Haus besetzt …“, seufzt Lütjens. 1 200 Schüler und 75 Lehrer zählt die Schule. „Ich hoffe wirklich, dass die Künstler endlich Verständnis zeigen für unsere Schüler, die weniger privilegiert sind als sie selbst, und ihnen die Chance geben, unter guten Bedingungen zu lernen.“ Ein Teil der Verwaltung der Schule soll hier einziehen. Damit gäbe es sieben Klassenräume mehr.
„Wir wussten nicht, dass die Schule die Räumlichkeiten bekommen sollte. Wir sind schon kompromissbereit, aber wir glauben, dass es einfacher wäre, ein Ersatzobjekt für die Schule zu finden, als für uns“, sagt Schneider.
Am Montag demonstrierten 300 Leute auf dem Römerberg für das Weiterbestehen des besetzten JUZ Bockenheim. Das Gespräch mit Ebeling am Dienstag findet nur statt, weil sich Pädagogikprofessor Micha Brumlik von der Goethe-Uni als Mediator angeboten hat. Viele seiner Studenten stehen hinter dem Projekt, und Brumlik pflegt auch einen guten Kontakt mit Bürgermeisterin Ebeling.
Schneider bleibt skeptisch: Zwei Alternativ-Standorte hatte die Stadt der Künstlergruppe bereits angeboten. Das erste war in Rödelheim. und nicht zentral genug. Das zweite, in Sachsenhausen, gehörte der Stadt nicht. Michael Damian, Ebelings Büroleiter, hat aber noch einen dritten Vorschlag parat.
Neben dem roten Salon im Ausstellungsraum bastelt Martin Stiehl vom Offenbacher Asta an der Installation von „The real estate show“. So heißt das Gemeinschaftsprojekt der „Free Class“ von HfG und Städelschule. The „real estate show“ hieß auch die Ausstellung in einem in den 80er Jahren besetzten Haus in New York. Sie hatte dasselbe Ziel Freiräume für Kunst und Kultur schaffen.
Martin Stiehl betont: „Es gibt zu wenig Arbeitsräume an der HfG. Und Ateliers im Rhein-Main-Gebiet zu mieten ist sehr teuer. Hier können wir umsonst ausstellen.“ Sponsor der Schau ist die Ausstellungshalle Portikus. Überhaupt hat „Faites votre jeu“ viele private Sponsoren.
An einer Wand hängt eine Urkunde: „Vier Quadratmeter Mond“. „Die hat uns eine Stundentin geschenkt“, sagt Schneider. Ob „Faites votre jeu“ am Ende da hinziehen muss?
Offenbach-Post, 24.01.2009 (download pdf)
Von Kathrin Rosendorff