Frankfurtern war der Bunker am Klapperfeld immer ein Dorn im Auge
Wie ein vergessenes Monstrum aus der Vergangenheit steht es in der Stadt, keinen Steinwurf von der Konstablerwache entfernt. Yorck Forster, freier Ausstellungs-Kurator, nennt es „eine Zeitblase in der Gegenwart“, das alte Gefängnis im Klapperfeld am Gerichtsviertel. Seit November 2001 hat es als „Zentralgewahrsam“ ausgedient. Damals bezog die Frankfurter Polizei das neue Präsidium an der Adickesallee und damit auch ein neues Zentralgewahrsam. Festgenommene werden dort moderner untergebracht.
Karl Kraus, pensionierter Polizeisprecher und Polizeihistoriker, hat das „Relikt aus wilhelminischer Zeit“ noch in Betrieb erlebt. Die Hochzeit während der Studentenunruhen, als täglich Studenten nach Demos in die Sammelzellen gesteckt wurden, und die dort aus Wut Toilettenschüsseln demolierten, Wände mit Protest-Slogans verzierten. Später folgten die Startbahn-West-Besetzer, dann die Abschiebeflüchtlinge. Kraus hat auch noch die Bilder vor Augen, als ein stadtbekannter „Verwirrter“ eine der drei-fünfzig- mal-eins-fünzig-kleinen-Untersuchungszellen abfackelte. Aus Wut, weil er Mitterrand beim Staatsbesuch kein Schreiben in die Hand drücken durfte.
Anekdoten aus einer Geschichte, die aber eher so düster ist, wie die Trutzburg mit den schweren Stahltüren und engen Gängen im Inneren aussieht. Seit 1886 steht sie da. Erbaut als Teil des ersten preußischen Polizeipräsidiums, mit Dienstvilla des Polizeipräsidenten, der zugleich Landrat und oberster Repräsentant der preußischen Regierung in Frankfurt war.
Die freie Reichstadt Frankfurt war Vergangenheit und mit dem neuen Polizeipräsidium samt Zentralgewahrsam an der Ostzeil, waren auch die Voraussetzungen für ein modernes Polizeiwesen geschaffen, schreibt Kurt Kraus in einem Aufsatz, verfasst für eine Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums 2007 just im Gefängnis an der Klapperfeldstraße.
Den Frankfurtern war der laut Kraus rund 700.000 Mark teure, triste Backsteinbau von Anfang an ein Dorn im Auge. Preußen-Werk – und der Polizeipräsident als Symbolfigur und Statthalter der verhassten Besatzer. Trotzdem war das Zentralgewahrsam für die damaligen Verhältnisse ein funktionales, fortschrittliches Gebäude, mit getrennter Frauen- und Männerabteilung für 120 Personen, drei Krankenzimmern, vier Spezialzellen „für Tobsüchtige“, einer 25-Personen-Sammelzelle, Toiletten und Baderäumen im Keller.
Und, schreibt Kraus: mit einer frei schwingenden Stahlkonstruktion vorm Mauerwerk, die die Trutzburg viele Jahrzehnte später, während der Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg, vor der Zerstörung bewahrte. So kam es auch zum „wundersamen zweiten Leben“ des tristen Backsteinbunkers nach dem Zweiten Weltkrieg, obwohl das Gefängnis inzwischen tatsächlich in keiner Weise mehr den Belangen zeitgemäßen Strafvollzugs entsprach, wie Yorck Förster sagt. Und das vor allem während der Nazi-Zeit ein unrühmliches Stück Geschichte schrieb. Als Zentralgewahrsam für Schutzhäftlinge hatte die Gestapo ungehinderten Zutritt, Förster recherchierte unter anderem das Schicksal eines jungen Mannes aus der katholischen Jugendbewegung, der sich mit Nägeln aus dem Zellenboden grausam das Leben nahm, um seine Genossen zu schützen. Bis 1943, hat Kraus recherchiert, soll die Gestapo das Gefängnis in der Klapperfeldstraße genutzt haben.
Im zerstörten Nachkriegs-Frankfurt kam die Renaissance als einziges unversehrtes Gefängnis. Der Nachfolger am 1914 erbauten Polizeipräsidium am Hohenzollernplatz war zerstört. In den 50ern wurde der alte Preußen-Knast immerhin saniert und Toiletten in den Zellen eingerichtet. „Bis dahin gab es nur Kübel in den Zellen, das muss jämmerlich gestunken haben“, sagt Förster.
Auch nach der Sanierung – samt moderner, gelber Außenfassade – galt der Gewahrsam doch immer nur als Notlösung. Neubaupläne am damaligen neuen Polizeipräsidium in der Friedrich-Ebert-Anlage scheiterten aber am Geld und am Platz. Erst mit dem Umzug ins neue Polizeipräsidium an der Adickesallee ließ sich der alte Traum vom neuen Gefängnis am Präsidium verwirklichen. Der Knast im Klapperfeld hat 2001, nach 115 Jahren, ausgedient.
Frankfurter Rundschau, 28.01.2009
Von Anita Strecker