Gefängnishistorie ist jetzt im Internet nachzulesen
Seit einem Jahr nutzt die Initiative «Faites votre jeu» das ehemalige Polizeigewahrsam in der Klapperfeldstraße. Und hat die Geschichte des Gebäudes aufbereitet.
Innenstadt. Düster ist es in dem langen Gang. Obwohl es sich die Mitstreiter von »Faites votre jeu!« mit Tischen und Sofas und sogar einer Bar gemütlich gemacht haben, wirkt das ehemalige Polizeigewahrsam in der Klapperfeldstraße unheimlich. Ein Blick in die engen Zellen lässt Besucher erschaudern. »Kaum zu glauben, dass hier bis 2003 Menschen eingesperrt waren«, sagt Mirja (27).
Sie kennt sich aus mit der Geschichte des 1886 eröffneten Gefängnisses. »Als die Stadt uns statt des von uns besetzten, ehemaligen JuZ Bockenheim das Gefängnis anbot, war allen klar: Wir können das Gebäude nicht nutzen, ohne seine Geschichte aufzuarbeiten.« Sofort bildete sich ein Arbeitskreis Geschichte. Im Keller wurde eine Ausstellung zur Historie des Gefängnisses im Dritten Reich eingerichtet. Seit kurzem ist die Ausstellung auch unter www.klapperfeld.de im Internet zu sehen.
Seit April 2009 nutzt die Initiative »Faites votre jeu!« das ehemalige Gefängnis als selbstverwaltetes Zentrum für politische und kulturelle Veranstaltungen wie Diskussionen, Lesungen oder Konzerte. »Bereits im August entstand die erste Ausstellung«, sagt Jörg (27). Auch er ist im Arbeitskreis Geschichte aktiv ist, dessen Ziel es ist, die Historie des Gebäudes allen zugänglich zu machen – auch denen, die nicht nach Frankfurt kommen können.
Und so ist es möglich, die Texte der Dauerausstellung im Keller auch online zu lesen. »Nur Bilder gibt es vielleicht nie. Das ist immer eine Frage des Urheberrechts, ob wir sie einstellen dürfen oder nicht«, betont Mirja. Es gibt aber einen Abriss über die 114-jährige Historie des Gefängnisses, das einst direkt neben dem Polizeipräsidium lag – bis dieses 1914 an den heutigen Platz der Republik zog. 1933 zog die Gestapo ein und versuchte, unter Folter Geständnisse oder Informationen von politischen Gefangenen zu erpressen.
Der Homepage-Besucher erfährt auch vom Inhaftierter Bernhard Becker, der einer Widerstandsgruppe von katholischen Jugendlichen angehörte. Er beging in der Klapperfeldstraße Selbstmord, um seine Freunde nicht zu verraten. Nach dem Krieg wurden neben Straftätern auch jugendliche Ausreißer hier inhaftiert. Auch während der Studentenproteste in den 1960er Jahren und dem Widerstand gegen die Startbahn West füllten sich die Zellen.
»Mit der Schließung des Gefängnisses hört die Geschichte aber nicht auf. Wir dokumentieren auch, wie Faites votre jeu das Gebäude nutzt«, erzählt Mirja. Nachzulesen ist auch die Auseinandersetzung mit der Stadt um das Jugendzentrum Bockenheim und der Umzug von Faites votre jeu ins Polizeigefängnis. Die Homepage ist immer topaktuell.
Und so ist dort zu lesen, dass die Initiative kämpfen will, das Kulturzentrum in der Klapperfeldstraße weiter betreiben zu können. Dessen Zukunft sieht sie gefährdet, weil das Gebäude laut Innenstadtkonzept irgendwann abgerissen und durch ein Wohn- und Geschäftshaus ersetzt werden soll. Das will Faites votre jeu nicht akzeptieren. Dabei hatte die Stadt bei den Verhandlungen über den Umzug der Kulturinitiative in der Klapperfeldstraße darauf verwiesen, dass diese das Gebäude nur vorübergehend nutzen könne.
Zurzeit arbeitet der aus rund einem Dutzend Mitgliedern bestehende Arbeitskreis Geschichte an der Erweiterung der Ausstellung. »Die Ausstellung zur Geschichte des Gebäudes im Nationalsozialismus bauen wir aus. Diese Zeit mit ihren Gräueln ist uns wichtig«, sagt Jörg. Auch weil es im Umkreis Frankfurts nur wenige Gedenkstätten zur Nazi-Zeit gebe. »Wir hatten schon viele Schulklassen zu Besuch«, sagt Mirja. Als nächstes soll eine Ausstellung zum Gefängnis selbst entstehen, Mit alten Bildern von Frankfurt und Bildern von der Gestapo, die das Gefängnis lange genutzt hat. Aber auch Baupläne des Gebäudes und alte Zeichnungen.«
Bereits online sind zwei Interviews, die der Arbeitskreis mit zwei Gefängnisinsassen geführt hat. Von den Nazis im Februar 1943 verhaftet, saß bereits Wolfgang Breckheimers (84) Mutter Cäcilie Breckheimer im Gefängnis in der Klapperfeldstraße. Von hier wurde sie nach Auschwitz deportiert, wo sie im August 1943 starb. Er selbst kam in das Gefängnis, als er bei einer Demonstration der FDJ am Römerberg verhaftet wurde. Außer Breckheimer erzählt auch der heute 103 Jahre alte, von den Nazis schon 1936 verhaftete Gewerkschafter Hans Schwert von seiner Zeit im Gestapo-Gefängnis. hau
Termine: Zeitzeuge berichtet
Wer keine Zeit hat, zu den beiden April-Veranstaltungen von Faites votre jeu vorbeizukommen, kann trotzdem dabei sein: Ab dem Folgetag sind die Veranstaltungen im Internet unter www.Klapperfeld.de zu hören.
Am Mitrwoeh, 14. April, gibt es ab 19 ,Uhr ein Zeitzeugengespräch mit dem Holocaustüberlebenden und Autor Arno Lustiger. Im Vortrag mit dem Titel »Gedenken – erziehen – Vermitteln« des Frankfurter Erziehungswissenschaftlers Wolfgang Meseth geht es am Donnerstag, 22. April, ab 20 Uhr um die Erziehung nach Auschwitz im 21. Jahrhundert.
Frankfurter Neue Presse, 01.04.2010