Initiative findet verloren geglaubte Listen von Deportationen aus dem Gestapo-Gefängnis Klapperfeld
Wolfgang Breckheimer war 17 Jahre alt, als seine Mutter, Cäcilie Breckheimer, am 8. Februar 1943 von der Gestapo verhaftet und ins Polizeigefängnis Klapperfeld in der Frankfurter Innenstadt gebracht wurde. Was ihr zur Last gelegt wurde, war allein, dass sie Jüdin war. Der Name von Cäcilie Breckheimer steht auf Deportationslisten, die jetzt im Suchdienst-Archiv in Bad Arolsen gefunden wurden. Es könnte sich um einen Sensationsfund handeln.
Schon am 26. Juli 1943 wurde für Cäcilie Breckheimer im Vernichtungslager Auschwitz der Totenschein ausgestellt. Todesursache: »allgemeine Körperschwäche«. Wie lange seine Mutter bis zur Deportation im Polizeigewahrsam Klapperfeld gefangen gehalten wurde, beschäftigte ihren Sohn Wolfgang, der zur Widerstandsgruppe »Edelweißpiraten« gehörte, sein Leben lang. Er starb am 12. Juni 2011, ohne eine Antwort erhalten zu haben.
Heute könnte seine Frage beantwortet werden. Der Initiative »Faites votre jeu«, die seit zweieinhalb Jahren das ehemalige Polizeigewahrsam im Klapperfeld nutzt und dessen Geschichte erforscht, ist es gelungen, verloren geglaubte Listen von Deportationen aus dem damals der Gestapo unterstellten Gefängnis ausfindig zu machen. Laut der Initiative befanden sich die Listen, die mehr als 3300 Namen deportierter Frauen und Männer umfasst, in den Archiven des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen.
Großes Interesse an der Entdeckung
Dieses Archiv ist nach Auskunft des Instituts für Stadtgeschichte wissenschaftlichen Recherchen erst seit kurzem zugänglich. Expertin Jutta Zwilling, die die Datenbank der ermordeten jüdischen Frankfurter Opfer mit aufgebaut hat, reagierte mit großem Interesse auf die Entdeckung. Auch Michael Lenarz im Jüdischen Museum schließt nicht aus, »dass unbekannte Schicksale dabei sind. Das wäre sensationell«. Der Fund kommt unerwartet, denn gegen Kriegsende vernichtete die Gestapo (Geheime Staatspolizei) Akten im großen Stil.
»Die Listen zeigen, dass das Klapperfeld eine noch viel zentralere Rolle im Nationalsozialismus hatte, als bisher angenommen«, stellt Imke Kurz fest, Sprecherin von »Faites votre jeu«. Jutta Zwilling im Institut für Stadtgeschichte glaubt das auch: »Da ist noch viel zu erforschen.« Historiker vermuten, dass es sich bei den Opfern um Menschen handelt, die nach den großen Massen-Deportationen, die ab Herbst 1941 organisiert wurden, denunziert oder aufgespürt worden waren.
Lenarz erwähnt Fälle, wo jemand angezeigt und festgenommen wurde, weil er den »Judenstern« nicht getragen hat. Solche Menschen seien dann auf dem Weg in die Lager »mit Polizeibegleitung ins Zugabteil gesetzt worden«. Dies sei bisher wegen der Akten-Vernichtung »schwer rekonstruierbar gewesen«.
Die Dokumente in Bad Arolsen hatten Mitglieder der Initiative zwei Monate lang geprüft und festgestellt, »dass es sich tatsächlich um die verschollenen Listen handelt«, berichtet Imke Kurz. Man ahne, dass »noch viele Unterlagen aus dieser Zeit liegengeblieben sind und in Archiven lagern«.
Die Namenslisten geben Auskunft über Gefangene, die im August 1942 und von Februar 1943 bis Juli 1944 das Polizeigewahrsam an der Konstablerwache durchlaufen haben, darunter Juden, politische Häftlinge und Zwangsarbeiter. Neben persönlichen Daten finden sich Zeitpunkt und Ziel der Deportationen.
Cäcilie Breckheimer wurde am 26. April 1943 um 10.05 Uhr nach Auschwitz deportiert. »Solche Schicksale nachzuvollziehen, ist Sinn unserer Nachforschungen«, sagt Imke Kurz. Jetzt sollen die Daten mit der Gestapo-Datei in Wiesbaden und Hausstandsbüchern im Institut für Stadtgeschichte abgeglichen werden. Langfristig wollen die Klapperfeld-Nutzer mit wissenschaftlicher Hilfe ein Forschungsprojekt zur Geschichte des Polizeigewahrsams in Gang bringen.
Frankfurter Rundschau, 23.07.2011
Von Danijel Majic und Claudia Michels