Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir hier einen Auftruf von der Rote Hilfe Ortsgruppe Frankfurt und dem Ermittlungsausschuss Frankfurt:

Aufruf an alle Kriminalisierten der M31-Demonstration

Auf der antikapitalistischen M31-Demonstration, die am 31. März 2012 in Frankfurt am Main stattgefunden hat, kam es zu heftiger Repression und Massenfestnahmen durch die Polizei. Nach­dem die Polizei am Frankfurter Allerheiligentor den letzten Block des Demonstrationszuges von der restlichen Demo abgetrennt hatte, wurden mehrere hundert Demoteilnehmer*innen bis in die Nacht hinein in einem Kessel in der Battonstraße festgehalten. Insgesamt wurden an diesem Abend bis zu 465 Personen aus unterschiedlichen Städten vorübergehend festgenommen und in Gefangenensammelstellen im gesamten Rhein-Main-Gebiet transportiert.

Die Polizei hat angekündigt, gegen alle Festgenommenen und Eingekesselten von diesem Tag Er­mittlungsverfahren einzuleiten. Vielen Betroffenen wurden von den Einsatzkräften u.a. Verfahren wegen »Landfriedensbruch«, »schwerem Landfriedensbruch«, »Körperverletzung«, »Sachbeschä­digung« oder »Bildung bewaffneter Gruppen« angedroht. Zusätzlich wird von Polizei und Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit einem am 31. März verletzten Polizisten unter dem Vorwurf des »versuchten Totschlags« gegen unbekannt ermittelt. Zur »Aufklärung« aller Straftaten und zur Verfolgung der Kriminalisierten hat die Frankfurter Polizei Anfang April eine 25-köpfige Sonder­kommission eingerichtet, die breitflächig Videoaufzeichnungen aus der Innenstadt auswertet.

Zentrale Kontaktadresse für alle Kriminalisierten

Angesichts der mit Nachdruck vorangetriebenen Strafverfolgung rufen wir alle Leute, die am 31. März festgenommen wurden oder ein Strafverfahren angedroht bekommen haben, dazu auf, Gedächtnisprotokolle zu schreiben und sich zur Koordination der Rechtshilfe bei den Antirepres­sionsstrukturen in Frankfurt zu melden. Bitte meldet euch verschlüsselt unter ffm[ät]rote-hilfe.de
und schickt uns:

  • eure Namen, euer Alter und die Stadt, aus der ihr kommt
  • kurze Angaben zu der von euch erfahrenen Repression am 31. März (Festnahme, Einkesselung, Verletzungen, ED-Behandlung, Leibesvisitation, Entlassung etc.)
  • Angaben zu den gegen euch erhobenen Vorwürfen, sofern euch diese bekannt sind
  • die kurze Information, ob ihr bereits Kontakt mit lokalen Rechtshilfestrukturen oder Anwält*innen in eurer Stadt aufgenommen habt oder ob ihr gerne an eine Rechtshilfegruppe in eurer Nähe weitervermittelt werden wollt
  • euer Gedächtnisprotokoll vom 31. März

Wenn wir einen Gesamtüberblick bezüglich der strafrechtlich verfolgten Personen in unterschied­lichen Städten haben, versuchen wir in Absprache mit lokalen Solidaritätsstrukturen, ein koordi­niertes Vorgehen zu entwickeln und die Verfahren in Zusammenarbeit mit anderen Ortsgruppen der Roten Hilfe politisch zu begleiten. Allen über 18- bzw. 21-Jährigen sollte zudem klar sein, dass ein eventuell zu erwartendes Gerichtsverfahren in Frankfurt stattfinden wird.

Anwält*innen organisieren

Weil wir die konkreten Hintergründe der einzelnen im Zusammenhang mit M31 erhobenen Vor­würfe nur schwer einschätzen können, empfehlen wir außerdem allen Festgenommenen, sich so bald wie möglich um eine anwaltschaftliche Vertretung zu kümmern. Auf diese Weise habt ihr zu­mindest die Möglichkeit, Einsicht in die Akten der laufenden Strafverfahren zu bekommen. Bitte bedenkt, dass die Polizei viele Betroffene bereits im Gewahrsam zu vernehmen versucht hat. Die Staatsorgane sind in diesen Fällen nicht mehr dazu verpflichtet, euch eine Beschuldigtenvorladung zu schicken, sondern können direkt ins Ermittlungsverfahren einsteigen. Ohne Akteneinsicht ist für euch in diesem Kontext nur schwer absehbar, ob die Polizei euch nach der M31-Demonstrati­on pauschal und ohne konkret zurechenbare Verdachtsmomente Straftaten wie »Landfriedens­bruch« oder »gemeinschaftliche Sachbeschädigung« zur Last legt oder ob sie konkrete Beweismit­tel – wie z.B. Zeug*innenaussagen – gegen euch geltend machen will. Mit Anwält*innen und Akteneinsicht bekommt ihr zumindest darüber Gewissheit und könnt euer weiteres rechtliches und politisches Vorgehen planen.

Keine Aussagen, keine Spekulationen

Wir bitten nochmals alle Leute, keine Aussagen bei der Polizei zu machen und sich nicht an Spe­kulationen und Mutmaßungen auf Grund des am 31. März verletzten Polizisten zu beteiligen. Wir halten es für wichtig, dass die (radikale) Linke die Sinnhaftigkeit und politische Legitimität ihrer Aktionen diskutiert und sich kritisch mit ihren eigenen Aktionsformen auseinandersetzt. Bitte be­denkt dabei aber, dass die Frankfurter Sonderkommission gegenwärtig versucht, alle möglichen öffentlich zugänglichen Informationen über die M31-Demo auszuwerten und in der Szene kursie­rende oder über Internet verbreitete Spekulationen bezüglich des Verletzten Steilvorlagen für die Strafverfolgung abgeben. Die Strafverfolgungsbehörden haben auch ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse an der Verunglimpfung und Verfolgung linker Strukturen. Es bleibt also bei Großmutters Binsenweisheit gegen neugierige Staatsorgane: Schweigen ist Gold.

Rechtshilfe und Beratung in Frankfurt am Main

In Frankfurt am Main bieten verschiedene Rechtshilfegruppen regelmäßige Sprechstunden an, in denen Repressionsbetroffene sich in rechtlichen und politischen Fragen im Umgang mit den Strafverfahren nach der M31-Demonstration beraten lassen können. Neben der Roten Hilfe und dem Ermittlungsausschuss Frankfurt stellt gegenwärtig auch der AK Recht, der als studentischer Arbeitskreis im Normalfall nur Versammlungen mit studentischem Bezug betreut, auf Grund des Ausmaßes der Repression am 31. März seine wöchentliche Sprechstunde für Rechtsfragen in Zusammenhang mit den M31-Verfahren zur Verfügung.

Infoabend der Roten Hilfe Ortsgruppe Frankfurt:
am 2. Montag im Monat, 20 – 22 Uhr
Cafe Exzess, Leipzigerstraße 91, 60487 Frankfurt
frankfurt.rote-hilfe.de

Sprechstunde des EA Frankfurt:
jeden 2. Freitag im Monat um 20 Uhr
Club Voltaire, Kleine Hochstr. 5, 60313 Frankfurt
www.ea-frankfurt.org

Sprechstunde des AK Recht an der Uni Frankfurt:
jeden Dienstag ab 21 Uhr
AStA-Büro im Studierendenhaus
Mertonstr. 26-28, Frankfurt
akrechtunifrankfurt.wordpress.com

Vergesst nicht, dass die massenhafte Kriminalisierung nach dem 31. März eine Menge Geld kos­ten wird. Wir rufen deshalb alle Festgenommenen und beteiligten Gruppen dazu auf, Soliveran­staltungen zu organisieren, um die finanziellen Folgen der Repression gemeinsam zu tragen.

Rote Hilfe Ortsgruppe Frankfurt
Ermittlungsausschuss Frankfurt
April 2012

Download als Flugblatt

Vorheriger ArtikelImpressionen der Ausstellungseröffnung: Ästhetik des Widerstands
Nächster ArtikelRevolution 1:35 – Wie ein Modellbauer mit Kunst Geschichte schreibt