Auschwitzprozess als Theaterstück
Eine Gruppe von Studenten der Goethe-Uni bringt den Auschwitzprozess auf die Bühne. Ausgesucht haben sie sich dafür zwei geschichtsträchtige Orte in Frankfurt: das IG-Farben-Haus und das ehemalige Polizeigefängnis im Klapperfeld.
»Es war normal, dass zu allen Seiten gestorben wurde«, sagt die tonlose Stimme von Markus Schuld. Er steht im Halbkreis mit acht Kommilitonen, in einem spärlich beleuchteten Innenhof, umringt von hohen, stacheldrahtbewehrten Mauern.
Die Studenten der Goethe-Universität führen das Theaterstück „Die Ermittlung“ von Peter Weiss im ehemaligen Polizeigefängnis Klapperfeld auf. Weiss hat den ersten Frankfurter Auschwitzprozess zu einem Theaterstück verarbeitet. Es ist in elf Gesänge eingeteilt und basiert auf Aussagen von Zeugen und Angeklagten sowie den Reden von Staatsanwälten, Verteidigern, Richtern. Der Autor selbst hat den Prozess beobachtet.
Vom Dezember 1963 bis August 1965 wurden im ersten Frankfurter Auschwitzprozess 22 Mitglieder der Lagermannschaft angeklagt. 211 Überlebende des Konzentrationslagers sagten in dem 20 Monate andauernden Gerichtsprozess aus.
»Das ist auch ein Stück Erinnerungsarbeit, der wir uns annehmen«, sagt Johannes Bellermann. Der 27-jährige Promovend der Politikwissenschaften ist für die Dramaturgie des Stückes verantwortlich. Fabienne Pauly pflichtet ihm bei: »Wir haben das Stück in einem Seminar behandelt. Was in diesem Text steht, habe ich sonst noch nirgendwo so gelesen«, sagt sie. Die 25-jährige Studentin der Theater-, Film- und Medienwissenschaft führt Regie, zusammen mit ihrer Kommilitonin Marie Wolters. »Ich dachte: Das müssen wir öffentlich aufführen«, so Fabienne Pauly.
Den Aufführungsort wirken lassen
Auch Vera Emmerich ist begeistert von dem Theaterprojekt. Die 22-Jährige steht auf der Bühne. Sie studiert ebenfalls Theater-, Film- und Medienwissenschaft, zusammen mit Politik. »Schon in der Schule wird die NS-Zeit ausführlich behandelt. Auf Dauer kann das abstumpfen. Das Theaterstück eröffnet einen ganz neuen Zugang zu diesem Thema«, findet sie.
Die Aufführungen sind unter freiem Himmel. Das Bühnenbild besteht hauptsächlich aus Lautsprechern und Scheinwerfern. So lassen die Studierenden den Aufführungsort wirken. Der könnte kaum passender gewählt sein. Vom ehemaligen Gefängnis an der Konstablerwache wurden, nach Angaben der Initiative »Faites votre jeu!«, auch Menschen nach Auschwitz deportiert.
Zwei weitere Vorstellungen werden auf dem Campus Westend am IG-Farben-Haus aufgeführt. Auch dieser Ort ist eng mit Auschwitz verknüpft. „Das wird eine andere, aber ebenso eindrucksvolle Atmosphäre sein“, hofft Vera Emmerich. Im Anschluss an das etwa ein-stündige Theaterstück kommen auch die Zeugen selbst zu Wort: Eine Audioinstallation präsentiert Original-Aufnahmen aus dem Gerichtssaal.
Die Aufführungen finden am Mittwoch, 24., und Donnerstag, 25. Oktober, am Haupteingang des IG-Farben-Hauses, am Freitag, 26. Oktober, im Innenhof des ehemaligen Gefängnisses Klapperfeld statt, jeweils 20 Uhr. Eintritt frei.
Frankfurter Rundschau, 24.10.2012
Von Jakob Blume