Regisseurin Fabienne Pauly (li.) liest bei der Generalprobe im Skript den Text mit.

Studenten der Goethe-Universität inszenieren Theaterstück über den Frankfurter Auschwitzprozess

Eine Studentengruppe macht den Frankfurter Auschwitzprozess erlebbar: Mit Unterstützung des Asta und der Initiative »Faites votre jeu« inszeniert sie Peter Weiss’ »Die Ermittlung« und wahrt eine beklemmende Distanz zu den Rollen.

Innenstadt/Westend. Meterhohe Stacheldrahtmauern umgeben den in fahles Licht getauchten Innenhof des Polizeigewahrsams. Monoton und entfremdet melden sich Stimmen zu Wort, die protokollarisch von Güterzügen mit Frachtbriefen und rauchenden Schornsteinen berichten. Dann fallen die grellen Scheinwerfer auf die neunköpfige Personengruppe, eine »Zeugin« meldet sich zu Wort: »Es war das Normale, dass die, die unter uns standen, auch beim Prügeln halfen…«

Natürlich spricht die Studentin Vera Emrich ihren Text laut, sicher und auswendig – doch ihre Zeugenaussage klingt wie teilnahmslos verlesen. Spielt Vera Opfer, Täter oder am Ende nur willenloses Instrument eines perfiden automatisierten Systems? Mit dieser Frage wird sich das Publikum auseinandersetzen müssen, wenn die Initiative »Die Ermittlung« ihr Stück jeweils um 20 Uhr morgen im IG-Farbenhaus und am Freitag, 26. Oktober, im Polizeigefängnis im Klapperfeld spielt. An die Aufführungen schließen sich Audio-Installationen an, zu denen die Zuschauer geführt werden, um Originalstimmen und -aussagen aus dem damaligen Gerichtssaal im Römer und im Haus Gallus zu hören.

Der 1963 begonnene Frankfurter Auschwitzprozess dauerte zwei Jahre, 22 Angeklagte und 350 Zeugen wurden damals vernommen, darunter 211 Überlebende. Der Beobachter und Schriftsteller Peter Weiss verdichtete das Geschehen auf sieben Stunden, der Dramaturg Johannes Bellermann und die Regisseurinnen Fabienne Pauly und Marie Wolters kürzten das Stück wiederum auf 85 Minuten: Nach ersten Vorstellungen im vergangenen Mai wurden die Fragen und Aussagen nochmals überarbeitet, der Schwerpunkt mehr auf rezitierende Sprechchöre gelegt. Vier Zeugen, je ein Ankläger, Richter und Verteidiger und zwei Angeklagte stehen von links nach rechts schematisch und mit minimaler Kostümierung auf der Freilichtbühne, die allein durch die Originalschauplätze wirkt: Das Polizeigefängnis war Durchgangslager auf dem Transport nach Auschwitz, im IG Farbenhaus (dem heutigen Unicampus Westend) wurde die Herstellung von Zyklon B verwaltet.

Wie die Ankläger und Angeklagten folgt auch die »Zeugin« Vera Emrich ihrem eigenen einsilbig klingenden Sprechrhythmus. Die Frage nach ihrer historischen Rolle ist hinfällig, da Weiss die Namen der Personen ebenso anonymisierte wie die des Konzentrationslagers. Zu den wenigen authentisch genannten Namen gehören Dr. Josef Mengele und sein zu neun Jahren Zuchthaus verurteilter Assistent Victor Capesius. Wen also verkörpern der »Zeuge« Markus Schuld und der »Staatsanwalt« Bernd Marquardt, die beide erstmals auf der Bühne stehen, oder der »Angeklagte« Wolf Gerhardt, der Auschwitz von der Rampe über die Erschießungswand bis ins Krematorium erklärt und behauptet, er habe »nur auf Befehl gehandelt und für Ordnung gesorgt«?

»Im Prinzip verkörpern die Schauspieler gar niemanden“, erklärt Marie Wolters. Den Grund dafür kennt Peter Weiss ebenso wie der Theaterwissenschaftler Nikolaus Müller-Schöll, der Marie und ihre Kommilitonen im Seminar »Fiktion der Realität« mit dem Stoff konfrontierte. »Kein Darsteller kann eine Rolle verkörpern, die er sich nicht einmal annähernd vorstellen oder gar erleben kann«, ergänzt Fabienne Pauly. »Die Sprache muss künstlich bleiben, wir können uns ›den Prozess‹ nicht aneignen.« »Die Darsteller wirken als Sprachrohre«, sagt Bellermann. Für den Zuschauer bleibt der bedrückende Klang von Worten, die von einer Maschinerie sprechen. Nachdem der »Verteidiger« das Geschehene herunterspielt, erweckt nur das Plädoyer des »Staatsanwalts« etwas Hoffnung: »Das ist wie eine bewusste und gewollte Missachtung und Kränkung der Toten des Lagers und der Überlebenden.«

Es wird draußen gespielt, der Eintritt ist kostenlos. Zu den Aufführung im IG Farbenhaus werden die Zuschauer vor dem Haupteingang des Universitätscampus Westend abgeholt. (got)

Frankfurter Neue Presse, 25.10.2012

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