Klapperfeld
Vor zehn Jahren vermittelte Micha Brumlik zwischen linken Aktivisten und der Stadt Frankfurt. Das Ergebnis war die Einrichtung des selbstverwalteten Zentrums im ehemaligen Polizeigewahrsam „Klapperfeld“. Zehn Jahre später wollen konservative Politiker solche autonomen Zentren am liebsten schließen. Ein Gespräch.
Es ist Zufall, dass Micha Brumlik an diesem Dienstagabend in Frankfurt weilt. Seit seiner Emeritierung im Jahre 2013 hat sich der Lebensmittelpunkt des Erziehungswissenschaftlers und Publizisten nach Berlin verlagert. Doch an diesem Abend kündigt im Casino am IG-Farben-Campus der Frankfurter Universität ein Plakat einen Vortrag Brumliks an. Kurz vor Beginn der Veranstaltung, nimmt er sich Zeit für das Gespräch.
Herr
Brumlik, haben Sie eigentlich ein schlechtes Gewissen? Immerhin waren
Sie 2008/2009 als Vermittler quasi mit dafür verantwortlich, dass im
ehemaligen Polizeigewahrsam Klapperfeld, mitten in der Innenstadt, ein
linksautonomes Zentrum entstanden ist …
In keinster Weise. Ich finde, dass das damals eine vernünftige Strategie
gewesen ist, zumal ich durchaus einige Leute aus der Initiative „Faites
votre jeu“, die das dann ja später eingerichtet haben, aus meiner
Lehrtätigkeit hier in Frankfurt kannte. Das waren zum Teil Studierende
von mir.
Aber linke
Zentren wie das Klapperfeld stehen insbesondere nach den gewalttätigen
Auseinandersetzungen beim G20-Gipfel in Hamburg in der Kritik. Der
hessische Verfassungsschutz, die örtliche CDU, die FDP, Teile der
Presse, sehen darin Orte, in denen gewalttätige Aktionen gegen den Staat
geplant werden …
Ich lebe ja seit einiger Zeit nicht mehr in Frankfurt. Soweit ich das
aus der Ferne einschätzen kann, spricht nichts dafür, dass aus den
linken Zentren hier in Frankfurt Gewalttaten geplant wurden. Es ist ja
noch nicht mal für die linken Zentren in Hamburg eindeutig erwiesen.
Der
hessische Verfassungsschutz scheint das etwas anders zu sehen. Der
sieht in Einrichtungen wie dem Klapperfeld oder dem Exzess in Bockenheim
Zentren der linksextremen Szene …
Ich kann mir vorstellen, dass das Orte der linksextremen Szene sind.
Aber die Frage ist doch: Sind die gewaltbereit oder nicht? Das ist bei
der ganzen Diskussion doch entscheidend.
Aber darf man nicht zu Recht die Frage stellen, ob ein Staat oder eine Stadt sich leisten kann, solche Zentren zu unterstützen?
Weil eine Stadt für Jugend- und Kulturarbeit in ihrem Gebiet zuständig
ist. Dazu zählen auch politische Gruppen. Und wenn diese nicht
gewaltbereit sind, finde ich es ganz und gar richtig, sie zu
unterstützen, sofern sie eine sinnvolle politische Arbeit machen.
Das sehen Sie beim Klapperfeld? Sinnvolle politische Arbeit?
In jedem Fall. Allein die historische Aufarbeitung der Geschichte des
Gebäudes, über das ehemalige Gestapo-Gefängnis bis zur Nutzung als
Abschiebe-Knast. Das war aufklärerische Arbeit der Betreiber.
Haben Sie denn noch Kontakt zu den Betreibern?
Ganz wenig. Zu einer ehemaligen Doktorandin von mir.
In
der Debatte um die linken Zentren wird gerne eine Gleichsetzung von
Links- und Rechtsextremismus betrieben. Man würde ja auch kein von
Rechtsextremisten betriebenes Nationales Zentrum dulden, heißt es dann
…
Man sollte vielleicht zunächst mal definieren, was Rechtsextremismus und
was Linksextremismus ist. Bei Rechtsextremismus sind wir uns einig: Das
sind partikularistische, rassistische und menschenfeindliche
Ideologien. Sind diese Linksextremisten, von denen jetzt immer die Rede
ist, Stalinisten? Wollen sie ganze Klassen ausrotten oder wie seinerzeit
in China eine blutige Kulturrevolution anzetteln? Oder sind das nur
Personen, die – auch auf den Straßen demonstrativ – für eine Abschaffung
des Kapitalismus eintreten? Ich finde, das ist schon ein nicht
unerheblicher Unterschied.
Die Forderung nach der Überwindung des Kapitalismus ist aus ihrer Sicht also legitim …
Ich kann es zumindest verstehen. Ich selbst bin da skeptisch, weil ich
nicht sehe, dass andere Wirtschaftssysteme ökonomisch und politisch
funktioniert haben. Aber als eine moralisch-politische Forderung, die
den Finger in die Wunden legt, halte ich das durchaus für legitim.
Diese
Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus scheint Konjunktur zu
haben, wenn eigentlich rechtsextreme Umtriebe im Zentrum der Debatte
stehen sollten. Täuscht der Eindruck?
Ich sehe das auch so. Es hat etwas von einer Haltet-den-Dieb-Strategie.
Es scheint wohl auch hier in Hessen darum zu gehen, dass man den zur AfD
abdriftenden Wählern zeigen möchte, wir tun auch etwas gegen die Linken
und zeigen Stärke.
Es
stellt sich allerdings die Frage, ob der Staat von Projekten, die er
direkt oder indirekt unterstützt, nicht erwarten kann, dass sie
gegenüber der Verfassung loyal sind? Dass sie sich von Extremismus
distanzieren …
Ich bleibe dabei. Die entscheidende Frage lautet: Was heißt Extremismus?
Das hätte ich zum Beispiel vom hessischen Verfassungsschutz auch gerne
genau definiert. Aktive Gewaltbereitschaft gegen staatliche Organe ist
natürlich inakzeptabel. Aber ist das eigentlich damit gemeint?
Zumindest
sollen bei Diskussionen über die G20-Proteste in einem linken Zentrum
in Frankfurt Lob und Verständnis für gewalttätige Aktionsformen geäußert
worden sein …
Das halte ich schon für möglich. Die Frage ist, ob das die Programmidee
eines Zentrums als Ganzes beschädigt, wenn da solche Bemerkungen
gefallen sind.
Die Frage
der Loyalität und der Distanzierung von Extremismus steht auch im
Mittelpunkt der Debatte um die sogenannte Extremismusklausel für
Demokratieprojekte …
Ich kenne ja den Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, die ja ebenfalls
in die Kritik geraten ist. Der hat bei mir promoviert. Ich kenne auch
einige der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und ich habe nie den
Eindruck gewonnen, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu
irgendeiner gewaltbereiten Szene gehören. Das halte ich für eine
absurde, gerade zu ehrverletzende Behauptung.
Wie sollen die betroffenen Projekte und die linken Zentren auf diese Vorwürfe reagieren?
Ich würde darauf bestehen, dass der Verfassungsschutz, die CDU und die
Teile der Presse, die diese Vorwürfe aufgebracht haben, eine klare,
eindeutige und debattierbare Definition dessen vorlegen, was dieser
Linksextremismus eigentlich sein soll. Gerade den Demokratieprojekten
wird da doch mit einem absoluten Gummi-Begriff zu Leibe gerückt. Die
Beweislast tragen in diesem Zusammenhang doch der Verfassungsschutz und
die zuständigen Instanzen in der Landesregierung. Nachzuweisen wäre vor
allem, dass diese sogenannten Linksextremisten verfassungsfeindlich
sind. Man müsste ihnen also nachweisen, dass sie die
freiheitlich-demokratische Grundordnung tatsächlich abschaffen wollen.
Interview: Danijel Majic
Frankfurter Rundschau, 23.01.2018
Von Danijel Majic