Eine Ausstellung zum NSU-Terror im ehemaligen Polizeigefängnis Klapperfeld in Frankfurt gibt Betroffenen eine Stimme.
Ibrahim Arslan spricht mit fester Stimme. „Die rassistischen Übergriffe in Deutschland haben nach dem Holocaust nicht aufgehört.“ 1985 wurde Ramazan Avci in Hamburg von Neonazis ermordet. In den 70er und 80er Jahren gab es 700 belegte rassistische Angriffe, davon 12 mit Todesfolge. In den 90ern folgten der Mord an Antonio Amadeu, rassistische Angriffe in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda. 1992 in Mölln auf das Haus von Ibraham Arslans Familie.
Seine Stimme zittert leicht als er sich erinnert. Als er erzählt wie seine Großmutter Bahide ihn als siebenjähriges Kind aus den brennenden Räumen in die vom Feuer verschonte Küche trug. Als er erzählt, dass seine Großmutter Bahide, seine Schwester Yeliz und seine Cousine Ayse im Feuer starben. Ermordet von zwei Neonazis, die Molotowcocktails ins Haus seiner Familie warfen.
Heute ist Ibrahim Arslan Mitglied beim Tribunal NSU-Komplex, einer Initiative, die mit eigener Recherche auf Ermittlungslücken im NSU-Prozess hinweist und diese anklagt. Er hält an Schulen Vorträge über Rassismus aus der Sicht Betroffener. Nun spricht er mit dem Publikum der Ausstellungseröffnung „Sequenzen – Erinnerung – Wechsel. Den NSU-Komplex kontextualisieren“ von Spot The Silence im ehemaligen Polizeigefängnis Klapperfeld. An den Wänden und auf der Türschwelle drängen sich die Menschen. Wegen der zahlreichen Gäste muss die Ausstellung sogar früher geöffnet werden.
„Selten geht es um die Perspektive der Betroffenen“, sagt Ibrahim Arslan. So auch bei den Ermittlungen zum NSU. Zuerst wurde gegen Betroffene und Angehörige ermittelt. Dabei gab es bereits 2006, vor der Selbstenttarnung des NSU 2011, Demonstrationen in Kassel und Dortmund. Die Teilnehmer forderten damals: „Kein zehntes Opfer“. Ein Video von der Demonstration ist auch auf der Ausstellung zu sehen. Auf Stelen befinden sich dort auch kleine Tablets und Kopfhörer. Dort können Interviews mit Betroffenen der Mordserie angehört werden. Von Osman Tasköprü, Bruder des 2001 in Hamburg ermordeten Süleyman oder Ayfer Sentürk Demir, die den Nagelbombenanschlag 2004 in der Kölner Keupstraße überlebte.
„Die Ausstellung soll den NSU-Komplex in einen gesellschaftlichen und historischen Kontext aus der Perspektive der Betroffenen stellen“ sagt Ausstellungskuratorin Rixxa Wendland. Es sei wichtig zu zeigen, dass der NSU-Terror kein einschneidender Moment ist, sondern es rassistische Kontinuitäten gibt, die ihn hervorgebracht haben. Daher geht es auch um politische Hintergründe der Arbeitsmigration in den 50er bis 70er Jahren, wie das Anwerbeabkommen 1953 und dem Anwerbestopp 1974.
Ein Jahr lang haben die Kuratoren Wendland und Christian Obermüller für die Ausstellung recherchiert, Kontakte geknüpft, Interviews geführt. Sie nutzten das umfangreiche Archiv des in den 80er Jahren von Arbeitsmigranten in Köln gegründeten Vereins Domid und suchten über die Initiative „Keupstraße ist überall“ Kontakt zu vom NSU-Terror Betroffenen. „Wir wollen damit auch die historischen Bedingungen aufzeigen, die den Rechtsterrorismus ermöglicht haben“, erklärt Obermüller. Die Ergebnisse ihrer Recherche sind nun im Klapperfeld zu besichtigen.
Frankfurter Rundschau, 01.04.2018
Von André Daub