Politiker suchen das Gespräch, die Polizei ist auf alles vorbereitet. Das erste Wochenende mit neuen Regeln für den Frankfurter Opernplatz verläuft friedlich.
Es ist kurz vor eins, als Peter Feldmann geht, flankiert von Polizisten. Fast eine halbe Stunde hat Frankfurts Oberbürgermeister auf dem Opernplatz versucht, mit Teilnehmern einer Demonstration gegen Rassismus und das sogenannte Racial Profiling durch Polizei und Sicherheitsbehörden zu diskutieren. Worum es genau ging, ist nicht ganz klar. Und auch nicht, ob der SPD-Politiker, der schon Freitag Nacht auf dem Platz war, der wie kein anderer in der Stadt gerade im Licht der Aufmerksamkeit steht und der dafür seinen Urlaub unterbrochen hat, sich damit einen Gefallen tat.
Rückblende. Samstag Nacht, 22.45 Uhr. Im Bahnhofsviertel, am Kaisersack, formieren sich die Teilnehmer der Anti-Rassismus-Demonstration. Rund um die Alte Oper stehen Mannschaftswagen der Polizei. Drei Hundertschaften sind aufgeboten, um einer Verfügung Nachdruck zu verleihen, die als Reaktion auf die schweren Ausschreitungen am Wochenende zuvor erlassen worden ist: Bis zunächst Anfang September gilt für den Platz von Mitternacht an ein Betretungsverbot, um 1 Uhr wird geräumt, bis 5 Uhr herrscht Aufenthaltsverbot.
Feldmann und die Demonstranten
Freitag Nacht ist all das zum ersten Mal exerziert worden, die Szenerie blieb friedlich. Jetzt, in der Nacht zum Sonntag, sieht es so aus, als werde bei der Bilanzierung des Wochenendes wieder von einem Erfolg gesprochen werden können. „Keinerlei Meldungen, absolut friedlich“, sagt ein Polizeisprecher um kurz nach 23 Uhr. Rund 300 Leute sind zu dem Zeitpunkt auf demOpernplatz, stehen um den Lucae-Brunnen herum, sitzen auf den Stufen des Konzerthauses. In den Lokalen auf dem Platz sind unterdessen, anders als an den Wochenenden zuvor, etliche Tische frei. Gleichzeitig schiebt sich ein langsamer, aber steter Strom vom Opernplatz auf die Freßgass‘ und umgekehrt. Vor der Alten Oper steht der Oberbürgermeister, umringt von Kameras und Mikrofonen. Mal sehen, sagt er, ob jetzt jedes Wochenende so viel Polizei hier sein müsse.
Kurz bevor sie das nicht mehr hätten tun dürfen, betreten die Demonstranten die Szenerie. Sie sind sehr laut, sehr wütend, aber friedlich, sie erzählen von Beleidigungen, die sie aufgrund ihrer Hautfarbe erlebt hätten. Eine Sprecherin fordert immer wieder rechtsstaatskonformes Verhalten der Polizei. Laute, beifällige Rufe. Feldmann schaltet sich ein. Er bahnt sich einen Weg zu der Sprecherin, nimmt ein Mikrofon. Frankfurt stehe für Menschen aus Hunderten Nationen, sagt er. Manchmal wird ihm der Strom abgedreht, dann sind nur Satzfetzen zu hören, „berechtigtes Anliegen“, etwa, „Zusammenleben“. „Black live matters“, ruft er, fordert auf, mitzutun. Erst Schweigen, dann Buhrufe.
Vorwurf des Racial Profiling
Feldmann gibt nicht auf, spricht von seiner Zeit als Leiter eines Jugendhauses. Rede und Gegenrede werden inhaltlich immer verwaschener, ein Aneinander-Vorbeireden unter freiem Himmel. Feldmann dankt den Demonstranten dafür, dass sie friedlich sind. „Nehmen Sie sofort zurück, dass wir nur heute friedlich sind.“ Feldmann lädt alle, die das wollen, zu Gesprächen in den Römer ein. Eine aus dem Zug ergreift das Wort. Sie ruft mit sich überschlagender Stimme, dass die Verhaftungen am Wochenende zuvor der Beweis dafür seien, dass immer nur nach dem Fehlverhalten bestimmter Menschen geschaut werde. Ihr Bezug: Fast alle, die in der Nacht zum 19. Juli nach Flaschenwürfen und schweren Angriffen auf Polizisten festgenommen wurden, und die meisten von denen, gegen die Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, haben einen Migrationshintergrund. Feldmann zieht sich jetzt zurück, die Demonstranten zerstreuen sich bald.
Der Vorwurf des Racial Profiling in Frankfurt, der im Kern sagt, dass zum Beispiel Identitätskontrollen aufgrund äußerer Merkmale wie der Hautfarbe stattfänden, was grundgesetzwidrig sei, war bereits in der Nacht zu Samstag aufgekommen, als sich ebenfalls Demonstranten auf dem Opernplatz versammelt hatten. Sicherheitsdezernent Markus Frank (CDU) warfen sie eine Kontrolle durch die Stadtpolizei am späten Freitagabend in der Taunusanlage vor. Dort hatte eine Gruppe junger Männer dunkler Hautfarbe Rauschgift konsumiert, woraufhin Stadtpolizisten die Personalien aufnahmen. „Kontrollieren Sie lieber mal bei sich“, rief eine Demonstrantin Frank entgegen. Und in Anlehnung an die Drohschreiben, die nach einer Datenabfrage aus hessischen Polizeicomputern an die Linken-Politikerin Janine Wissler, die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz und die Kabarettistin Idil Baydar verschickt worden waren: „Kontrollieren Sie NSU 2.0.“ Frank blieb ruhig und sagte, es sei „gut, wenn Kontrollen stattfinden. Das dient der Sicherheit der Stadt.“
Polizei zieht positive Bilanz
Nachdem die Polizei die Proteste intensiv verfolgt hatte und in beiden Nächten darauf vorbereitet war, Ausschreitungen zu unterbinden, zog sie am Sonntag eine positive Bilanz. Zuvor hatte Polizeipräsident Gerhard Bereswill auf Anfrage mitgeteilt, er sehe die Kritik, die ihm und seinen Beamten auf dem Opernplatz von Seiten der Aktivisten entgegengeschlagen sei, als freie Meinungsäußerung. „Die steht selbstverständlich jedem zu.“
Noch unklar ist unterdessen der Hintergrund eines Polizeieinsatzes am ehemaligen Gefängnis Klapperfeld, das als linksautonomes Zentrum genutzt wird. Wie die Polizei mitteilte, war am Samstagabend ein anonymer Anruf eingegangen, dass es dort zu einer Auseinandersetzung mit einem Messer gekommen sei. Die Polizei schickte ein Großaufgebot zu dem Gebäude und umstellte es. Wie sich jedoch herausstellte, gab es die Auseinandersetzung nicht. Der Polizei wurde anschließend vorgeworfen, über die sozialen Netzwerke Fake News verbreitet zu haben. Anschließend formierte sich eine Spontandemonstration durch die Innenstadt, die ebenfalls das Thema Racial Profiling und Polizeigewalt aufgriff. Ein Sprecher der im Klapperfeld tätigen Initiative „Faites votre jeu“ äußerte am Sonntag in einer Pressemitteilung, Racial Profiling sei „an diesem Wochenende an quasi allen innerstädtischen Plätzen an der Tagesordnung“. Wer den Polizeieinsatz im Klapperfeld auslöste, war auch am Sonntag nicht geklärt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.07.2020
Von Jacqueline Vogt & Katharina Iskandar