Blick ins Gefängnis Klapperfeld
Aus dem ehemaligen Polizeigefängnis in der Klapperfeldstraße sollte eigentlich ein Wohn- und Geschäftshaus werden. Dann zogen Studenten in den Knast und arbeiteten die Geschichte des Ortes auf.
Frankfurt. Schon diese Fassade, schmutzig gelb, mit verrosteten Fenstergittern. Alles signalisiert Verwahrlosung, beklemmende Öde, herzergreifende Trostlosigkeit. Der langgestreckte Kasten, vier Stockwerke hoch und von einer Mauer umgeben, ist ein heruntergekommenes Knastgebäude. Mitten in der Innenstadt, zwischen Konstablerwache und Zeil, im Windschatten der Justizpaläste, liegt das alte Polizeigefängnis Klapperfeld. Man kann hinein in den düsteren Bau, in dem niemals Strafgefangene, vielmehr Untersuchungshäftlinge und vorübergehend Festgesetzte untergebracht wurden. Man kann sich ansehen, in welch finsteren Löchern die Gefangenen schmorten. Man kann ihre verzweifelten Botschaften lesen, die sie auf den dreckigen Wänden und den schweren Türen hinterlassen haben. Alles Düstere drückt sich in wenigen Worten, Symbolen, kleinen Zeichnungen aus: Wut, Verzweiflung, Hoffnunglosigkeit.
Düstere Löcher
Seit 2001 muss hier niemand mehr sein Dasein fristen, keine Untersuchungshäftlinge und keine vorübergehend Sistierten. Hinein kommt man heute nur aus freien Stücken, etwa wenn man die Ausstellungen besichtigen möchte, die ein Studentenverein mit der angesichts des dafür gewählten Ortes eigenwillig anmutenden Bezeichnung »Faites votre jeu« (»Machen Sie Ihr Spiel«) organisiert. Dass die Studenten sich des Knasts durch Besetzung bemächtigt haben und dies nicht überall auf Freude stößt, wird später noch zu beleuchten sein.
Diesen Weg muss man einmal ganz bewusst gehen: Durch die schwere Eisentür an der zur Seilerstraße zeigenden Stirnseite des unwirtlichen Gebäudes geht es hinein ins Innere, zunächst in die frühere Wachstube. Eine undurchdringliche, wohl seit der Erbauung des Knast-Klotzes im Jahr 1886 währende Muffigkeit liegt in der Luft, legt sich auf die Nasenschleimhäute wie erstickender Mehltau auf Rosenblätter. Es riecht nach Schwermut, Pein und Pisse. Schon hier, in der Wachtmeisterstube im Erdgeschoss und erst recht auf den nicht enden wollenden Fluren der vier Stockwerke, zu deren beiden Seiten die Hafträume angeordnet sind. In den Zellen, in den beklemmend kleinen, düsteren Löchern mit Stuhl, Tisch, Klappliege und Kloschüssel, verdichtet sich der Gestank zu einem unerträglichen Konzentrat.
Beunruhigende Notiz
Die Ausdünstungen müssen zu Zeiten, als der Knast noch als sogenanntes Polizeigefängnis genutzt wurde, besorgniserregend gewesen sein. In seinem Bericht schreibt ein Polizeiarzt an den »Leitenden Polizeiarzt« folgende beunruhigende Notiz über eine ärztliche Inspektion am 21. 1. 44: »Das Schlimmste ist das völlige Fehlen einer Lüftung und der daraus resultierende Geruch, ein Wort viel zu milde, sondern wahrhaft pestilenzartige Gestank, der ohne jede Übertreibung direkt Übelkeit erzeugt… So etwas im Kulturzentrum einer Stadt wie Frankfurt, an einem Ort, den sehr viel Ausländer passieren.«
Im Gefängnis Klapperfeld waren Männer wie Frauen untergebracht, getrennt voneinander, auch beim Hofgang, den die Häftlinge jeweils auf dem »Männerhof« oder dem »Weiberhof« absolvierten. Hofgang war vorgeschrieben und zeitlich reglementiert, fand täglich zwischen 10 und 11 Uhr statt. Jedenfalls für die Frauen, so hat es die frühere Gefange Elsie Kühn-Leitz überliefert: »Die Inhaftierten wurden für 20 Minuten in den Innenhof geführt. Der Hofgang der Männer fand meist zwischen 5 und 7 Uhr statt und war durch gleichmäßige Exerzierschritte hörbar… Beim Hofgang war das Sprechen streng verboten.« Streng untersagt war der Beschreibung von Frau Kühn-Leitz auch, »sich tagsüber aufs Bett zu setzen oder sich hinzulegen. Jede Zelle ist mit einem Guckloch ausgestattet, durch das das Wachpersonal jederzeit das Geschehen in den Zellen kontrollieren konnte.«
Auch ein Frankfurter Pastor hat seine Eindrücke aus dem Gefängnis Klapperfeld der Nachwelt hinterlassen. Karl Veidt war Pfarrer der Paulskirche, wurde zweimal von der Gestapo verhaftet und ins Polizeigefängnis Klapperfeld gebracht. Das erste Mal für vier Tage im Jahr 1937, das zweite Mal im Februar 1941 für vier Wochen. »In der Zelle …, 3,50 Meter in der Länge, etwa zwei Meter breit, links die Pritsche, bei Tag hochgekippt, bei Nacht herunter. Rechts an der Wand eingelassen ein Tisch, ein Stuhl, beide bei Nacht hochgeschlagen, weil bei heruntergelassenem Bett sonst kein Raum gewesen wäre. Das kleine Fenster in unerreichbarer Höhe. Die schwere Holzpritsche hatte als Unterlage nur eine stark durchgelegene Matratze.«
Geschichte aufgearbeitet
Zusammengetragen haben diese und weitere Dokumente die Mitglieder des Geschichtsarbeitskreises von »Faites votre jeu«. »Die Studenten haben sich verdient gemacht um die Aufarbeitung der Geschichte dieses Ortes«, sagt Martin Müller-Bialon, Sprecher von Bürgermeisterin und Bildungsdezernentin Jutta Ebeling (Grüne). Dies allein sei schon Grund genug, dass man einer Verlängerung des Mietvertrages mit dem Verein »äußerst wohlwollend«, so Müller-Bialon, gegenüber stehe.
Im Liegenschaftsamt ist die Wertschätzung für die aktuellen Nutzer des heruntergekommenen Knastes zurückhaltender. Davon gleich mehr.
Nichts hat sich verändert an und in dem verkommenen Gebäude. Es ist, als sei die Zeit stehen geblieben seit der Beschreibung des Frankfurter Pastors.
Dass sich nichts verändert, dass der schmutzig gelbe Kasten Jahr um Jahr vor sich hinrottet und einen beklagenswerten Anblick bietet, ist für Alfred Gangel, Leiter des städtischen Liegenschaftsamtes, ein gewisses Ärgernis. Der Knast auf der städtischen Liegenschaft in schönster City-Lage scheint auf merkwürdige Weise Klotz am Bein städtebaulichen Fortschritts zu sein. Vor etwa sieben Jahren, sagt Gangel, habe es einen ernsthaften Kaufinteressenten gegeben für die städtische Liegenschaft. Wohnungen habe dieser an die Stelle des ehemaligen Gefängnisses setzen wollen. Daraus sei am Ende nichts geworden. Dann habe die Justiz Erweiterungsbedarf und in diesem Zusammenhang Interessen an der Liegenschaft signalisiert. Bevor es zu konkreten Planungen kam, war plötzlich der Justizstandort an der Konstablerwache für eine Weile ernsthaft in Gefahr, weil die Landesregierung Pläne hatte, die Frankfurter Justizbehörden peripher in einem Neubau unterzubringen. Präsidenten und Personal der von diesen Plänen betroffenen Gerichte wehrten sich tapfer, unterstützt von Interessengruppen und vielen Bürgern. Die Nachricht, dass die Frankfurter Justiz bleibt, wo sie seit Jahrzehnten ist, nämlich nahe der Konstablerwache, ist noch einigermaßen frisch.
Das alte Polizeigefängnis Klapperfeld ist hinsichtlich seiner Lage für Investoren ein Sahnestück, indessen nicht in puncto Architektur und Bausubstanz. Beides aber muss im Prinzip erhalten bleiben, denn das Zweckgebäude stehe unter Denkmalschutz, sagt Alfred Gangel. Das macht die Immobilie gewiss schwerer vermittelbar.
Läden im Erdgeschoss
Gleichwohl hatte Gangel erneut einen Investitionswilligen fürs Klapperfeld gefunden. 25 bis 30 ausdrücklich nicht hochpreisige Wohnungen habe dieser in dem viergeschossigen Gebäude unterbringen wollen und im Erdgeschoss eine Ladenzeile. Wenn Alfred Gangel von diesen Plänen berichtet, gerät er zwar nicht gerade ins Schwärmen. Das wäre zu viel gesagt. Aber man erlebt eine wohltemperierte Beschreibungsfreude, die signalisiert: Diese Pläne haben den Liegenschaftsamtschef offenbar überzeugt. Die Erörterungen zwischen Gangel und dem Investor müssen schon einen gewissen Fortschritt erreicht haben. Gangel sagt, man habe bereits über den Erbbauzins verhandelt. Weiter aber kam man nicht.
Immer noch steht der ehemalige Knast, wo er 1886 hingesetzt wurde, vernachlässigt, unansehnlich, mit Grafitti beschmiert. Seit zwei Jahren ist das Gebäude in der Hand der erwähnten Studenten. Genauer gesagt: Der Initiative mit der Bezeichnung »Faites votre jeu«, die sich als Kulturinitiative begreift und bezeichnet. 2008 hatte die offene Gruppe ein ehemaliges leerstehendes Jugendzentrum in der Varrentrappstraße (Bockenheim) besetzt. »Um ein selbstverwaltetes, unkommerzielles Zentrum zu schaffen«, erklärt eine Sprecherin der Gruppe. Die Stadt Frankfurt indessen hätte das Jugendzentrum vorgesehen als Verwaltungsgebäude für eine angrenzende Schule – und deshalb den Studenten kurzerhand das Gefängnis als Ausweichquartier angeboten. Die Studenten zogen dort ein, mit einem befristeten Mietvertrag und dem Bildungsdezernat als Vertragspartner. Im August läuft die Vereinbarung aus. Eine Verlängerung ist, wie bereits erwähnt, nicht unwahrscheinlich.
Seitdem sei die städtische Liegenschaft seiner Zuständigkeit, was Zukunftsplanungen angeht, entzogen, sagt Alfred Gangel, und diesmal klingt er überhaupt nicht begeistert. Im Gegenteil. Es schwingt eine gewisse Süffisanz mit, wenn er solch wohlgesetzte Worte wie diese wählt: »Liegenschaften haben die Eigenschaft und den Vorteil, nicht wegzurennen. Und jede Generation hat das Recht, eigene Vorstellungen über die Nutzung städtischer Liegenschaften darzustellen.« (enz)
Frankfurter Neue Presse, 21.05.2011
Von Sylvia A. Menzdorf